Aus Gründen, denen zu wenige Zweifel entgegengesetzt werden, hat sich in dieser Gesellschaft eine obskure Gabe- und Gegengabekultur eingerichtet. Ein gutes Beispiel dafür sind Praktikumsplätze im Kultur- und Sozialbereich. ‚Gesucht‘ werden junge, hochmotivierte Menschen, mit Spaß an kreativer Arbeit, hohem Verantwortungsbewusstsein, Erfahrung im jeweiligen Bereich und der Fähigkeit, selbstständig arbeiten zu können. Liebe zukünftige PraktikantInnen!: ’selbstständiges Arbeiten‘ klingt für Unerfahrene möglicherweise erfrischend, bedeutet allerdings nur, dass es niemanden gibt, der sich Zeit für euch nehmen wird, um sich um euch zu kümmern. Was bedeutet, dass ihr die geringst-mögliche Lernchance bei diesem Praktikum haben werdet.
Selbstverständlich muss aber euer Englisch in Wort und Schrift perfekt sein, Auslandsaufenthalte solltet ihr zahlreich vorweisen können, der Bachelorabschluss ist für euch eine basale Grundvoraussetzung und natürlich wird Flexibilität in Sachen Arbeitszeit vorausgesetzt. Kurz: es ist voller Einsatz von euch gefragt.
Jetzt fragt ihr, welche Gegengabe diese Leistungsgesellschaft für euch bereithält. Nun, PraktikantInnen, die sich überdurchschnittlich bemühen, haben erhöhte Chancen auf ein floskelhaftes Praktikumszeugnis, im Einzellfall darf mit einer anteiligen Fahrkostenkompensation gerechnet werden oder mit Kulturnaturalien, wie dem freien Eintritt in das Museum, in dem das Praktikum geleistet wird (streng beschränkt auf die Dauer des Praktikums).
Schließlich soll es bei einem Praktikum nicht um Geld gehen, sondern um das Sammeln von Erfahrungen. Deswegen arbeitet ihr natürlich freiwillig ohne Entlohnung, denn ihr seid Sozial- und Kulturidealisten, die an ihrem Lebenslauf arbeiten und sich nicht in einer Ausbeutungsspirale befinden, sondern die Qualifikationsleiter hinaufklettern.
Unmoralisch ist, wer auf eine Entlohnung angewiesen ist und sich im Namen seiner ‚Karriere‘ in Kultur und Sozialem immer noch nicht das Essen und Schlafen abgewöhnen konnte. Integriert euch doch bitte endlich in das spardynamische Weltbild eurer selbsternannten Elite – ihr NiederwirtschaftlerInnen!
Wer sich an dieser Gabe- und Keinegegengabe-Kultur beteiligt, entwertet seine eigene Arbeit, spricht sich seine eigene Kompetenz ab und beschleunigt den Wettbewerb der Anspruchslosigkeit. Wer sich an dieser Gabe- und Keinegegengabe-Kultur beteiligt, beerdigt seine eigene Profession. Das belieben nur noch die Altunterlegenen zu tun, die dem paradoxen Leistungsverständnis der Altarroganten blind folgen. Wer neuarrogant denkt, schreibt Absagen an die Entwertung seiner eigenen Arbeit:
Sehr geehrte(r) Frau/Herr …,
ich danke Ihnen für die Ausschreibung der Praktikantenstelle (…), welche mein spezielles Interesse geweckt hat. Ich bin derzeit auf der Suche nach einem Praktikumsplatz, der meinen fachlichen Fähigkeiten gerecht wird und zu meiner beruflichen Weiterentwicklung beiträgt.
Nach sorgfältiger Prüfung Ihres Angebotes, muss ich Ihnen daher leider mitteilen, dass ich mich deshalb auf die von Ihnen angebotene Stelle nicht bewerben kann. Nach sorgfältiger Abwägung der Verhältnismäßigkeit von Leistung und Entlohnung, ist es mir aus Anspruchsgründen nicht möglich, die Bedingungen dieses Praktikums zu akzeptieren. Aufgrund meiner Qualifikation und Erfahrung, hat Ihr Angebot schädliche Auswirkungen auf meine und Ihre Arbeit im Bereich…… , dessen gesellschaftliche Wertschätzung Ihr ‚Angebot‘ untergräbt.
Als Antwort schlage ich Ihnen vor, dass Sie mit daran arbeiten, den ökonomischen und qualitativen Unterbietungswettbewerb in Kunst, Kultur und Sozialem nicht weiter voranzutreiben. Als entsprechende Gegengabe für diese Unternehmung wartet auf Sie im besten Fall die Wertschätzung Ihrer eigenen Arbeit und der Arbeit von jungen und motivierten Menschen. Ich gehe davon aus, da Sie selbst in diesem Bereich tätig sind, auf ihre Unterstützung in dieser Sache, bauen zu können.
Ich versichere Ihnen, dass meine Entscheidung keine Abwertung Ihrer Person oder (Institution/Firma einsetzen) bedeutet, sondern ausschließlich auf meine Auswahlkriterien und neuarrogante Haltung, zurück zu führen ist.
Ich bedauere, Ihnen keine günstigere Nachricht geben zu können und wünsche Ihnen für die Zukunft alles Gute.
(Falls Sie befürchten, diese Absage zu Unrecht erhalten zu haben, senden Sie dieses Schreiben bitte der zuständigen Autorität zu.)
Mit aufweckenden Grüßen
…..
PS: Sehr viel Erfolg verspricht auch die Initiativ-Absage und die Serien-Absage. Anregungen dazu gibt es auf der Seite der Absageagentur.
PPS: Tip für Neuarrogante mit progressivem Geschäftssinn: diesem Schreiben kann prima noch eine Rechnung für ‚Social-Quality-Consulting ‚ zu den üblichen Honorarsätzen angehängt werden!
PPPS: FreundInnen des sozialkritischen Ästhetizismus sei in diesem Zusammenhang geraten, folgendes Zitat von Oscar Wilde ihrem Schreiben beizufügen:
„Selbstaufopferung ist etwas, das durch ein Gesetz abgeschafft werden sollte. Sie ist so demoralisiernd für die Leute, für die man sich aufopfert. Sie geraten immer auf einen schlechten Weg.“
DNA
Verbindenden Dank gilt Micha, für die neuarrogante Inspiration zu diesem Artikel.